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Zeit ist das neue Geld – Reinventing i+m Vol*3

New Work, News, Inside i+m

Artikel von Sylke am 9. März 2017

Die versierte Wortjongleurin mit Berliner Schnäuzchen bloggt seit vielen Jahren – am liebsten zu den Themen Nachhaltigkeit, Feminismus und New Work.

Achtung, steile These im Anmarsch: Die Demokratisierung der Wirtschaft kann nicht ohne eine Auflösung der Verknüpfung von Zeit und Geld erreicht werden. Starker Tobak! Geht’s schon wieder um New Work? Ganz recht.

Unser Reinventing Prozess schreitet voran und an einem gewissen Punkt kommt man auch an der Neuerfindung der Arbeitszeiten nicht mehr vorbei. New Work und die starre 40-Stunden-Woche im Büro vertragen sich ähnlich wie Hund und Katze.

Weniger ist das neue Mehr

Wurde eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden 1965 noch als Novität gehandelt, wirkt sie schon ein halbes Jahrhundert später recht angestaubt. Heutzutage ist in punkto Arbeitszeit weniger oft mehr. So berichten Unternehmen, die Arbeitszeitmodelle mit geringerer Wochenstundenzahl eingeführt haben, oft von einer höheren Innovationskraft, einem geringeren Krankenstand und einer merkwürdig erhöhten Mitarbeiterzufriendenheit. Gepaart mit mehr Flexibilität sollen Angestellte mit verkürzter Arbeitszeit schier explodiert sein vor Produktivität und Freude, erzählt man sich.
Na sowas. Das wollen wir auch! Flugs war eine AG Arbeitszeit- und Urlaubszeitmodelle gegründet, die sich mit dem Thema näher befassen und dann einen Vorschlag zur Einführung neuer/sinnvollerer Arbeits- und Urlaubszeiten bei i+m erarbeiten soll. Gesagt, getan.

Zeit gegen Geld

Der AG-Ausgangspunkt: Das gängige Geschäftsmodell Geld-gegen-Zeit ist einer vorgeschriebenen Stundenanzahl verpflichtet, um vergleichbar zu sein. Wenn man allerdings gemeinsamen Output vergütet, spielt Zeit eigentlich nur noch eine Nebenrolle. Ist also der Output gleich – oder gar höher – bei weniger Arbeitszeit, wer schert sich da noch um den schnöden Mammon?

Echte Unternehmer*innen und Geschäftsführer*innen bestimmen ihre Arbeitszeit und Anwesenheitszeit eigenverantwortlich. Wenn ein Ziel unseres Reinventing Prozesses also ist, dass wir alle Unternehmer im eigenen Unternehmen  werden, dann ist es doch nur logisch es genauso zu handhaben.

Das AG-Fazit: Eigenverantwortliches Arbeiten soll zukünftig bei i+m untrennbar verbunden sein mit einer eigenverantwortlichen Arbeitszeiteinteilung.

Kampf der Frequenzen

Warum und wozu denn? Nun, jeder Mensch lebt in/mit einer individuellen Frequenz und diese ist nicht immer gleich, sondern tagesformabhängig – und kann sich sogar stündlich ändern.

Ein Beispiel: Während der eine die frühen Morgenstunden um 6:00 Uhr als erhebend erlebt, ist die andere davon überzeugt, dass kein Leben vor 9:00 Uhr auf der Erde existiert. Man könnte auch sagen, die Frequenzkurve des erstgenannten ist kurz vorm Höhepunkt, während sich die der anderen noch ganz, ganz unten befindet. Aber schon ein paar Stunden später hat sich das ganze Spektakel vollkommen umgekehrt. Auf eine tägliche Wiederholung dieses Schauspiels kann man sich aber auch nicht verlassen. Denn kommt beim einen eine Prise Migräne hinzu und die andere schwebt verliebt auf Wolke sieben, ist wieder alles anders. Zudem muss der eine vielleicht überwiegend Mails und Telefonate beantworten, während die andere vielleicht auf eine kreative Inspiration angewiesen ist. Und das sind nur zwei Beispiele, aber wir sind ja inzwischen eine ganze Meute von Frequenz-Individuen. Und die wäre also herkömmlicherweise gezwungen von 9 bis 17 Uhr in anhaltend gleicher Frequenz an einem Ort miteinander zu arbeiten – bei voller Produktivität. Nonsens!

Irgendwelche Lösungen parat?

Nun, in einem Club kann ein guter DJ mittels Musik eine ganze Meute Individuen innerhalb einer halben Stunde auf eine gemeinsame Frequenz bringen – bei bester Laune. Sozusagen Frequency Master* of Ceremony. Hm, sollten wir das auch versuchen? Aber wann sollen wir anfangen zu tanzen? Und wer macht dann unsere Arbeit? Schwierig.

Bessere Idee: Um Frühaufsteher mit Mittagstief und Morgenmuffel mit Tendenz zur Nachtarbeit auf eine Frequenz zu bringen, braucht es mehr Flexibilität. Wenn nicht alle zur gleichen Zeit anwesend sein müssen und ihre Arbeit um ihre Leistungskurven herum gestalten dürfen, könnten wir alle zu Frequency Masters* werden. Niemand muss gezwungenermaßen täglich zur gleichen Zeit am gleichen Ort sein, um miteinander arbeiten zu können.

Den Geschäftsführer*innen unter den Lesern haben sich wahrscheinlich schon ein bisschen die Nackenhaare aufgestellt. Jede*r wie er/sie will? Und tatsächlich war auch Teilen unserer Noch-Geschäftsführung gar nicht wohl bei dieser Besprechung: Wie können alle fair entlohnt werden, wenn das Zeit-gegen-Arbeit-Modell nicht mehr gilt? Was ist mit unterschiedlich hohem Arbeitsaufkommen? Was ist wenn Arbeit liegen bleibt oder alle nur noch Überstunden machen? Und was passiert, wenn sich Teile des Teams vielleicht nie mehr von Angesicht zu Angesicht treffen? Wie regelt man Dinge, ohne sich zu begegnen? Wann bespricht man sich? Und wie hält man das Team beisammen – auch gefühlsmäßig? Viel Stoff für Diskussionen. Und oh ja, wir haben lange und ausgiebig diskutiert.

Ums abzukürzen kommt hier das gemeinsam erarbeitete Modell (für den Anfang):

  • es gibt eine Kernanwesenheitspflicht, um eine gerüttelt Maß an Zusammengehörigkeitsgefühl und In-Teamigkeit (©iplusm-Redaktion) zu gewährleisten
  • diese erstreckt sich nach Abstimmung auf Montag bis Donnerstag 11 bis 15 Uhr
  • die Zeit davor, danach und freitags steht es jedem frei, in Homeoffice, im Café oder sonstewo zu arbeiten
  • die Meeting-Zeiten/Woche fallen etwas kürzer aus, um allen die Möglichkeit zu geben, das Besprochene auch irgendwann mal umzusetzen, nämlich Dienstag bis Donnerstag 11 bis 15 Uhr
  • Möglichkeiten zur individuellen Anpassung sind nach Absprache mit dem Mikroteam (ehemals Abteilung) immer möglich
  • es gibt einen gesetzten Jour Fix in der Woche, der das gesamte Team auf den neuesten Stand bei allen Mikroteams bringt – auch um die individuelle Stimmungslage miteinander zu teilen in einer vorhergehenden Emo-Runde
  • um Meetings und Projekte besser planen zu können, gibt es einen gemeinsamen Teamkalender, in dem Homeoffice-Zeiten, Teammeetings, Außentermin, etc. rechtzeitig angekündigt werden
  • die 40h Stunden Woche wird vorerst beibehalten bis das Vertrauen aller in die neue Regelung gewachsen ist
  • das Ganze tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft und wird regelmäßig in einer Feedbackrunde besprochen und weiterentwickelt

Weniger revolutionär als angedacht (der ursprüngliche AG-Vorschlag war eine flexible 30h Woche), aber ein Schritt in die richtige Richtung. Unsere erste Feedback Runde steht kurz bevor.

Für mich persönlich fühlt es sich bis hierhin ganz gut an. Denn die Möglichkeit zu Homeoffice und meine Arbeitszeit um die Kernzeiten herum selbst gestalten zu können, verschafft mir mehr Freiräume und damit auch Motivation.

Und was ist mit dem Urlaubszeitmodell? Ja, ja, nur nicht ungeduldig werden. Das kommt beim nächsten Mal.

 


* Diesen Begriff hat übrigens Van Bo Le Mentzel – Erfinder der Hartz 4 Möbel und Gründer der Tiny Houses Bewegung – beim Fair Camp neulich geprägt im Rahmen der Fish Bowl Diskussion „Nehmen wir uns alle nur noch als Business wahr?“. Eine inspirierende Angelegenheit war das!


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